Rekord-BIP und stetiges Wachstum: Russlands Wirtschaft trotz Sanktionen weiter im Aufschwung
Nach einem sehr schwierigen Jahr 2022 verzeichnet Russland schon das zweite Jahr in Folge eine insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung. Lediglich die Inflation bereitet Moskau weiterhin Sorgen.
Von Alex Männer
Ungeachtet des seit Jahren bestehenden Sanktionsdrucks seitens des Westens wächst die russische Wirtschaft kontinuierlich, während mehrere Länder der Euopäischen Union, die Russland mit heftigen Restriktionen belegt haben, sich in einer Rezession befinden oder einer Stagnation nah sind. So legte die russische Wirtschaft innerhalb von zwei Jahren um etwa acht Prozent zu, die der EU dagegen nur um einen Prozent.
Vor allem Russlands Bruttoinlandsprodukt hat die Prognosen im vergangenen Jahr deutlich übertroffen: Nach russischen Regierungsangaben belief sich das nominale BIP auf 200 Billionen Rubel (umgerechnet knapp zwei Billionen Euro) – das ist der höchste Wert in der Geschichte des Landes. Wobei hier anzumerken ist, dass das nominale BIP weniger über das tatsächliche Potenzial einer Volkswirtschaft aussagt, als etwa die „Kaufkraftparität“. Denn die Kaufkraftparität dient dazu, gesamtwirtschaftliche Größen wie das BIP in eine einheitliche Währung umzurechnen und damit international vergleichbar zu machen. In Bezug darauf ist Russland bereits auf den vierten Platz der größten Volkswirtschaften der Welt vorgerückt, nachdem es Deutschland und Japan überholen konnte.
Dies ist zum einen auf eine positive Entwicklung auf dem russischen Arbeitsmarkt zurückzuführen: Die Löhne sind 2024 um neun Prozent gestiegen. Die Beschäftigung bleibt weiterhin sehr hoch, so dass sich die Arbeitslosigkeit mit 2,3 Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau befindet.
Zum anderen ist das außergewöhnlich starke Wirtschaftswachstum hervorzuheben, das mit 4,1 Prozent höher ist als die Wachstumsraten in den USA oder anderen westlichen Volkswirtschaften und das ebenfalls die ursprüngliche Prognose übertraf. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Industrieproduktion in Russland, die seit 2023 die höchste Wachstumsrate innerhalb eines Jahrzehnts aufweist. Im vergangenen Jahr wuchs sie um 4,6 Prozent, was auch über vorläufigen Prognosen liegt.
Mit mehr als acht Prozent entfiel der höchste Zuwachs auf die Produktion des verarbeitenden Gewerbes. Die Wachstumsführer waren jene Branchen, die schon im Jahr zuvor einen hohen Produktionsanstieg vermelden konnten: Hersteller von fertigen Metallprodukten (+ 35,5 Prozent), Produzenten von Transportmitteln und Ausrüstung (+29,6 Prozent), Hersteller von Computern und elektronischen und optischen Erzeugnissen (+28,8 Prozent) sowie die Produzenten von Kraftwagen und Anhängern (+16,5 Prozent).
Nicht außergewöhnlich ist jedoch, dass ein solcher wirtschaftlicher Aufschwung oft einen Anstieg der Inflation zur Folge hat. So auch in Russland, wo die Inflation 2024 auf 9,5 Prozent kletterte. Weil unter anderem die hohen Wachstumsraten im Konsumbereich dazu führten, dass die Nachfrage heute das Angebot übersteigt und so den Preisanstieg anheizt.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, setzte die russische Zentralbank auf eine straffe Geldpolitik und erhöhte den Leitzins im Jahresverlauf auf 21 Prozent. Was nicht unproblematisch ist, meinen Experten. Denn bei einem solchen Zinssatz würden Investitionen in die Ausweitung der Produktion nicht infrage kommen. Allerdings ist diesbezüglich anzumerken, dasst eine hohe Inflation Investitionen in die Produktion ebenfalls ungünstig macht. Insofern müssen die Russen noch die richtige Balance zwischen Wirtschaftswachstum und Inflationssenkung finden.
Was die Aussichten für das laufende Jahr betrifft, so prognostizierte der Internationale Währungsfond (IWF) eine Wachstumsrate der russischen Wirtschaft von nur 1,4 Prozent. Die russische Zentralbank ist mit den IWF-Experten solidarisch und prognostiziert ein russisches BIP-Wachstum im Bereich von 1,0 bis 2,0 Prozent im Jahr 2025 und 0,5 bis 1,5 Prozent im Jahr 2026.
Erklärt wird dieser erwartete Rückgang des Wachstums etwa damit, dass die Spannungen auf der internationalen Bühne einen Einbruch der Ölpreise verursachen könnten, die einen erheblichen Teil der russischen Haushaltseinnahmen ausmachen. Außerdem gehen die meisten Wirtschaftsanalysten inzwischen davon aus, dass das Potenzial für eine rasche Ausweitung der russischen Produktion im Zeitraum 2023 bis 2024 weitgehend ausgeschöpft wurde, so dass sich die früheren Wachstumsraten mit einfachen Maßnahmen nicht mehr erreichen lassen.
Titelbild: LKW-Produktion in Russland © Peter Kovalev/TASS